Die Skeletfrau
Märchen der Inuit von Clarissa Pinkola Estés aus dem Bestseller "DIE WOLFSFRAU"

Das Märchen
Viele Jahre waren vergangen, bis sich niemand mehr daran erinnern konnte, gegen welches Gesetz das arme Mädchen verstoßen hatte. Die Leute wussten nur noch, dass ihr Vater sie zur Strafe von einem Felsvorsprung ins Eismeerhinabgestoßen hatte und dass sie ertrunken war. So lag sie für eine lange Zeit am Meeresboden. Die Fische nagten ihr Fleisch bis auf die Knochen ab und fraßen ihre kohlschwarzen Augen. Blicklos und fleischlos schwebte sie unter den Eisschollen, und ihr Gerippe wurde von der Strömung um- und um- und umgedreht. Die Fischer und Jäger der Gegend hielten sich fern von der Bucht, denn es hieß, dass der Geist der Skelettfrau dort umginge.
Doch eines Tages kam ein junger Fischer aus einer fernen Gegend hergezogen, der nichts davon wusste. Er ruderte seinen Kajak in die Bucht, warf seine Angel aus und wartete. Er ahnte ja nicht, dass der Haken seiner Angel sich sogleich in den Rippen des Skeletts verfing! Schon fühlte er den Zug des Gewichts und dachte voll Freude bei sich: "Oh, welch ein Glück! Jetzt habe ich einen Riesenfisch an der Angel, von dem ich mich für lange Zeit ernähren kann. Nun muss ich nicht mehr jeden Tag auf die Jagd gehen." Das Skelett bäumte sich wie wild unter dem Wasser auf und versuchte freizukommen, aber je mehr es sich aufbäumte und wehrte, desto unentrinnbarer verstrickte es sich in der langen Angelleine des ahnungslosen Fischers.
Das Boot schwankte bedrohlich im aufgewühlten Meer, fast wäre der Fischer über Bord gegangen, aber er zog mit aller Kraft an seiner Angel, er zog und ließ nicht los und hievte das Skelett aus dem Meer empor. "Iii, aiii", schrie der Mann, und sein Herz rutschte ihm in die Hose hinunter, als er sah, was dort zappelnd an seiner Leine hing. "Aiii", und "igitt", schrie er beim Anblick der klappernden, mit Muscheln und allerlei Getier bewachsenen Skelettgestalt. Er versetzte dem Scheusal einen Hieb mit seinem Paddel und ruderte, so schnell er es im wilden Gewässer vermochte, an das Meeresufer.
Aber das Skelett hing weiterhin an seiner Angelleine, und da der Fischer seine kostbare Angel nicht loslassen wollte, folgte ihm das Skelett, wohin er auch rannte. Über das Eis und den Schnee; über Erhebungen und durch Vertiefungen folgte ihm die Skelettfrau mit ihrem entsetzlich klappernden Totengebein.
"Weg mit dir", schrie der Fischer und rannte in seiner Angst geradewegs über einige frische Fische, die jemand dort zum Trocknen in die Sonne gelegt hatte. Die Skelettfrau packte ein paar dieser Fische, während sie hinter dem Mann her geschleift wurde, und steckte sie sich in den Mund, denn sie hatte lange keine Menschenspeisen mehr zu sich genommen.
Und dann war der Fischer bei seinem Iglu angekommen. In Windeseile kroch er in sein Schneehaus hinein und sank auf das Nachtlager, wo er sich keuchend und stöhnend von dem Schrecken erholte und den Göttern dankte, dass er dem Verderben noch einmal entronnen war.
Im Iglu herrschte vollkommene Finsternis, und so kann man sich vorstellen, was der Fischer empfand, als er seine Öllampe anzündete und nicht weit von sich, in einer Ecke der Hütte, einen völlig durcheinander geratenen Knochenhaufen liegen sah. Ein Knie der Skelettfrau steckte in den Rippen ihres Brustkorbs, das andere Bein war um ihre Schultern verdreht, und so lag sie da, in seine Angelleine verstrickt.
Was dann über ihn kam und ihn veranlasste, die Knochen zu entwirren und alles vorsichtig an die rechte Stelle zu rücken, wusste der Fischer selbst nicht. Vielleicht lag es an der Einsamkeit seiner langen Nächte, und vielleicht war es auch nur das warme Licht seiner Öllampe, in dem der Totenkopf nicht mehr ganz so grässlich aussah -aber der Fischer empfand plötzlich Mitleid mit dem Gerippe. "Na, na, na", murmelte er leise vor sich hin und verbrachte die halbe Nacht damit, alle Knochen der Skelettfrau behutsam zu entwirren, sie ordentlich zurechtzurücken und sie schließlich sogar in warme Felle zu kleiden, damit sie nicht fror.
Danach schlief der Gute erschöpft ein, und während er dalag und träumte, rann eine helle Träne über seine Wange. Dies aber sah die Skelettfrau und kroch heimlich an seine Seite, brachte ihren Mund an die Wange des Mannes und trank die eine Träne, die für sie wie ein Strom war, dessen Wasser den Durst eines ganzen Lebens löscht. Sie trank und trank. bis ihr Durst gestillt war, und dann ergriff sie das Herz des Mannes. das ebenmäßig und ruhig in seiner Brust klopfte. Sie ergriff das Herz, trommelte mit ihren kalten Knochenhänden darauf und sang ein Lied dazu. „Oh, Fleisch, Fleisch. Fleisch“, sang die Skelettfrau. „Oh, Haut, Haut, Haut.“ Und je länger sie sang, desto mehr Fleisch und Haut legte sich auf ihre Knochen. Sie sang für alles, was ihr Körper brauchte. für einen dichten Haarschopf und kohlschwarze Augen. eine gute Nase und feine Ohren, für breite Hüften, starke Hände, viele Fettpolster überall und warme. große Brüste.
Und als sie damit fertig war, sang sie die Kleider des Mannes von seinem Leib und kroch zu ihm unter die Decke. Sie gab ihm die mächtige Trommel seines Herzens zurück und schmiegte sich an ihn, Haut an lebendige Haut. So erwachten die beiden, eng umschlungen. Fest aneinandergeklammert.
Die Leute sagen, dass die beiden von diesem Tag an nie Mangel leiden mussten, weil sie von den Freunden der Frau im Wasser, den Geschöpfen des Meeres. ernährt und beschützt wurden. So sagt man bei uns. und viele unserer Leute glauben es heute noch.
(Die Skelettfrau ist eine Originalerzählung von Clarissa Pinkola Estés aus dem Buch "Die Wolfsfrau" - Alle Rechte vorbehalten.)
Und noch ein Herzöffner für uns Frauen ...
Wenn du die Welt verändern möchtest, liebe einen Mann.
Liebe ihn aufrichtig.
Wenn du die Welt verändern möchtest, liebe einen Mann. Liebe ihn aufrichtig.
Wähle den einen, dessen Seele klar die deine ruft, der dich sieht und mutig genug ist, ängstlich zu sein.
Empfange seine Hand und führe ihn sanft zu deines Herzens Blut, dass er deine Wärme auf sich spüren kann und Ruhe findet, dass seine schwere Last verbrennen kann in deinem Feuer.
Schau in seine Augen, schau tief in sein Inneres und sieh, was dort schlummert oder wach ist, schüchtern oder voll Erwartung. Schau in seine Augen und sieh dort seine Väter und Großväter, all die Kriege und den Wahnsinn, den ihre Geister kämpften, in einem fernen Land, zu anderer Zeit. Schau auf ihre Schmerzen und Kämpfe und Qualen und Schuld; Ohne Urteil. Und dann, lass es alles gehen.
Fühl hinein, in die Bürde seiner Ahnen, und wisse, was er sucht, ist sichere Zuflucht in dir. Lass ihn in deinem festen Blick schmelzen. Und wisse, dass du seine Wut nicht zu spiegeln brauchst, denn in deinem Schoß, deiner Gebärmutter,
liegt ein süßes, tiefes Tor, die alten Wunden zu heilen.
Wenn du die Welt verändern möchtest, liebe einen Mann, liebe ihn wirklich. Sitze vor ihm, in der vollen Würde deiner Weiblichkeit, im Atem deiner Verletzlichkeit, in der Verspieltheit deiner kindlichen Unschuld, in der Tiefe deines Todes. Eine blühende Einladung, in sanfter Hingabe, die sich öffnet für seine männliche Kraft. Dass er zu dir kommt … und ihr schwimmt im Schoß der Erde. In stillem Wissen, gemeinsam.
Und wenn er sich zurückzieht … und das wird er … flüchtend aus Angst, in seine Höhle …
Dann sammle du deine Großmütter um dich, umschlungen von ihrer Weisheit. Höre ihr besänftigendes Flüstern, beruhige das Herz des verängstigten Mädchens in dir - Sei still … und warte geduldig auf seine Rückkehr.
Sitze und singe an seiner Tür, ein Lied der Erinnerung, dass er Ruhe und Trost findet, ein weiteres Mal.
Wenn du die Welt verändern möchtest, liebe einen Mann, liebe ihn ganz.
Entlocke ihm nicht seinen kleinen Jungen, mit Tücke und List, Verführung und Betrug, nur um ihn in ein Netz der Zerstörung zu locken – zu einem Ort aus Chaos und Hass, schrecklicher als jeder Krieg, den seine Brüdern je kämpften. Es ist nichts Weibliches daran, es ist Rache. Es ist das Gift unserer gestörten Geschichte, von Zeitaltern des Missbrauchs, der Vergewaltigung unserer Welt. Es gibt der Frau keine Kraft, es verstümmelt sie, während sie ihm seine Eier abschneidet. Und es tötet uns alle.
Und ob seine Mutter ihn halten konnte, oder es nicht vermochte: Zeige du ihm die wahre Mutter, jetzt. Halte ihn und führe ihn in deine Gnade und Tiefe, glimmend im Kern dieser Erde. Bestrafe ihn nicht für seine Wunden, die nicht deinen Anforderungen entsprechen. Weine für ihn süße Flüsse. Blute es alles nach Haus.
Wenn du die Welt ändern möchtest, liebe einen Mann, liebe ihn schutzlos.
Liebe ihn genug, um nackt und frei zu sein. Liebe ihn genug, um deinen Körper und deine Seele zu öffnen, für den Kreislauf von Geburt und Tod. Und danke ihm für die Gelegenheit - während ihr gemeinsam tanzt, durch tobende Winde und stille Wälder. Sei mutig genug, zerbrechlich zu sein, lass ihn die weichen, berauschenden Blüten deines Seins trinken. Lass du ihn wissen, dass er dich halten darf, aufstehen und dich schützen.
Fall in seine Arme und vertraue ihm, dass er dich auffängt – Auch wenn du schon tausende Male fallen gelassen wurdest. Lehre ihn Hingabe, indem du dich selbst hi ngibst. Und schmelze in das süße Nichts, das Herz dieser Welt.
Wenn du die Welt verändern möchtest, liebe einen Mann, liebe ihn.
Ermutige ihn, nähre ihn, erlaube ihm, höre ihn, halte ihn, heile ihn. Und du wirst genährt und unterstützt und geschützt sein - Durch starke Arme und klare Gedanken und gezielte Pfeile.
Denn er kann, wenn du ihn lässt, alles sein, was du dir erträumst.
Wenn du einen Mann lieben willst,
liebe dich selbst, liebe deinen Vater, liebe deinen Bruder, deinen Sohn, deinen Ex-Partner, vom ersten Jungen,
den du je geküsst, bis zum Letzten über den du weintest.
Netzfund ...





